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Plädoyer für "Strukturierte Prävention"

Laudatio von Professor Dr. Andreas Burmester anlässlich der Vergabe der Auszeichnung „Riegel – KulturBewahren. Preis für Schutz, Pflege und Ausstellen von Kunst- und Kulturgut“ 2017

Sehr geehrte Damen und Herren, Kolleginnen und Kollegen,

der diesjährige Preis für Schutz, Pflege und Ausstellen von Kunst- und Kulturgut „KulturBewahren“ 2017 geht nicht an eine Einzelperson, sondern an alle deutschen Archive, Bibliotheken und Museen, die sich zu Notfallverbünden zusammengeschlossen haben. Der Preis wird von Dipl.-Ing. Michael John, dem Leiter der technischen Dienste der Staatliche Kunstsammlungen Dresden, stellvertretend für alle anderen Preisträger entgegengenommen. Dies freut mich besonders, kennen wir uns doch seit jener denkwürdigen Sitzung im April 1990 in Dresden, wo wir die Teilung Deutschlands erstmals praktisch überwanden und uns zur Sanierung der Sempergalerie in einer großen Bausitzung trafen. Die in unübersichtlicher politischer Situation geknüpften Verbindungen und Freundschaften halten bis heute.

Notfall im Rückblick

Doch nicht das Thema der Sanierung von Museen, sondern das Thema Notfallverbund fällt dem Laudator zu. Es ist ein spannendes und ein hochaktuelles und ein drängendes Thema, doch gehen wir erst einen Schritt zurück. Der letztjährige Preis richtete den Blick auf die Themen Sicherheit und Kulturgutschutz. Die Preisträger präsentierten mit dem „SicherheitsLeitfaden Kulturgut“ ein Instrument, um den baulichen und technischen Ist-Zustand in Museen, Bibliotheken und Archiven zu erfassen.

Bemerkenswerter Weise stellt der Preis „KulturBewahren“ damit zum zweiten Mal die Prävention in den Mittelpunkt. Ausgezeichnet werden lokal vernetzte, präventiv agierende Strukturen. Der Brand der Herzogin Anna Amalia Bibliothek in Weimar 2004, der Einsturz des Historischen Archivs in Köln 2009 und die drei kurz aufeinander folgenden Hochwässer in Dresden 2002, 2010 und 2012 wecken heute noch bei Archivaren, Restauratoren, Kunsthistorikern, bei technischem Personal wie auch der Feuerwehr und dem Technischen Hilfsdienst traumatische Erinnerungen. Wir müssen nicht ins Detail gehen, doch können diese Schadensfälle quasi als „Brandbeschleuniger“ für die Gründung präventiv agierender Netzwerke angesehen werden.
Weimar, Köln und Dresden waren nicht die einzigen Auslöser: Es sei u. a. daran erinnert, dass 1998 der Brand auf dem Flughafen Düsseldorf deutschlandweit zu einem grundlegenden Umdenken in Fragen des Brandschutzes geführt hat. Eine Modernisierung der Ausstattung der Feuerwehren, eine Aufstockung des Personals, eine Verschärfung gesetzlicher Vorgaben und ein präventiven Umgang mit Fragen der Bergung von Kulturgut sind nur vier der Konsequenzen aus dieser Katastrophe.
Parallel dazu stieg das Bewusstsein, dass der Klimawandel Hitzeperioden, Starkwindlagen, Starkregen und lokale Schneemassen mit sich bringen wird. Kartierungen überschwemmungsgefährdeter Gebiete machten deutlich, dass zahlreiche Kultureinrichtungen akut gefährdet sind, ja dass aus Jahrhunderthochwassern sich rasch wiederholende Ereignisse werden könnten. Kurz: Verbesserungen in Sicherheit und Brandschutz, die bauliche Ertüchtigung der Dächer und Entwässerungen, ein Austausch der Erkenntnisse in lokalen Netzwerken – und damit der Notfallverbund – waren zwingende Konsequenz.

Immer neue Notausgänge

Dies hört sich nach einer linearen Kausalkette an. Doch seien wir ehrlich, wurden überall in Deutschland Konsequenzen aus dieser bedrohlichen Gemengelage gezogen? Schien es doch so zu sein, dass die zusätzlichen Aufgaben für den Notfall selbst in großen Häusern die personellen Möglichkeiten überstiegen. Plötzlich konkurrierten Evakuierungsübungen, Feuerwehrlaufkarten und technische Nachrüstungen mit immer neuen Umhängungen, Sonderausstellungen und Langen Nächten. Fehlende Priorisierungen seitens der Leitungsebenen erschwerten zudem jedes Bemühen.
Bei der Auseinandersetzung mit der Thematik wurde rasch auffällig – und hier treffen sich die letztjährigen und die diesjährigen Preisträger – dass die Notfallplanung mit gravierenden Mängeln im technischen und organisatorischen Brandschutz, in der technischen wie organisatorischen Sicherheit und mit massiven strukturellen, baulichen und finanziellen Missständen rechnen sollte. Zudem erschien eine lokale Kooperation auf Grund der unterschiedlichen Größe der Kultureinrichtungen, städtischer, staatlicher und privater Träger sowie der unterschiedlichen Sparten – Archiv, Bibliothek, Museum, Sammlung, Kunsthalle – , im übergreifenden Verbund als eine Zumutung. Kurz: Auch wenn die Notwendigkeiten erkannt wurden, führte dies immer wieder zu einem Zurückstellen der Notfallplanung. Problem erkannt, doch … jetzt nicht, vielleicht später, ich kann doch nicht!

Der Weg zum Notfallverbund

In dieser Lage verdienen die bestehenden und heute ausgezeichneten Notfallverbünde umso mehr unsere Aufmerksamkeit und Anerkennung. In ihnen kommt der Begleitung und der Hilfe von außen besondere Bedeutung zu. Erst im Austausch mit den Verbundpartnern wird deutlich, dass vermeintlich institutionsspezifische Probleme weit verbreitet sind. Dieselben strukturellen Schwierigkeiten ziehen sich wie ein roter Faden durch alle Einrichtungen. Beispielsweise muss in jedem Haus in Zeiten vernachlässigter öffentlicher Bausubstanz über erhöhte Anstrengungen im Brandschutz gesprochen werden. Je mehr unsere Gebäude vernachlässigt werden, desto dringlicher werden Brandschutz und Sicherheit. Freie Berater, die Polizei, die Berufsfeuerwehr wie die freiwilligen Feuerwehren und das technische Hilfswerk bieten sich hierbei aktiv als kompetente Partner an. Die Erkenntnis ist auch dort gereift, dass miteinander wesentlich mehr zu bewegen ist als im Alleingang. Die Bergung von Personen ist das eine, die Bergung von Kulturgut eine neue Herausforderung. Wir wissen, dass dies massive Schwierigkeiten mit sich bringt. Die Empfindlichkeit der Objekte, ihre in der Regel mechanische Sicherung an Wand und Boden und ihr hohes Eigengewicht stehen einer raschen Bergung entgegen.
Interessanterweise ging der Impuls für Notfallverbünde zumeist von Archiven und Bibliotheken aus: Der Grund liegt wahrscheinlich darin, dass standardisierte Vorgehensweisen dort schon lange etabliert sind. Alleine die Masse – so betreut das Nürnberger Stadtarchiv 17.000 laufende Meter an Archivalien – zwingt zu einem Notfallverbund, ihre Bergung ist im Notfall nicht vom hauseigenen Personal zu leisten. Archive und Bibliotheken sollten Vorbild für unsere Museen sein, die in dem Gefühl aufgeladener Besonderheit der Handelnden wie auch der Einzelobjekte nach meiner Erfahrung immer neue Gründe suchen, Notfallplanung beiseite zu schieben oder als nicht machbar zu erklären.
Mit der Einrichtung von Notfallverbünden im Raum Halle, Kassel, Nürnberg, Magdeburg oder Augsburg – um nur einige zu nennen – wurde deutlich, dass sich all diese Schwierigkeiten überwinden lassen. Es wurde deutlich, dass wir aus den Erfahrungen in Köln, Weimar, Dresden oder Düsseldorf lernen können. In all den genannten Städten und vielen mehr wurde die Minimierung von Risiken plötzlich zu einer gemeinschaftlichen Aufgabe, die jede Abteilung, von der Haustechnik bis in die Leitungsebene einbindet.

Strukturierte Prävention

Von den heute ausgezeichneten Notfallverbänden zu lernen, heißt, aktiv zu werden. Sich nicht zu scheuen, im Verbund über die eigenen Mängel zu sprechen und einrichtungsübergreifend präventiven Überlegungen eine Struktur zu geben. Aus meiner Sicht brauchen diese Strukturen einen rechtlichen Rahmen und auch Förderung durch die Politik. Zwar wird in Bayern seitens des Ministeriums immer wieder eine Notfallplanung angemahnt, doch eine praktische Unterstützung fehlt. Dabei könnte die ministerielle Ebene weit leichter Druck machen und auf eine juristisch abgesicherte Vereinbarung drängen, die aus losen Zusagen unterschiedlichster Kultureinrichtungen einen tragfähigen Notfallverbund schmiedet. Wir sollten uns bewusst sein, dass jede dieser Vereinbarungen in einem größeren, politischen Kontext steht. Der Augsburger Notfallverbund formuliert es in seinem Internetauftritt ganz klar: „Notfallvorsorge und -planung sowie die gegenseitige Hilfe im Verbund […] verstehen sich […] als integrale Bestandteile eines allgemeinen und umfassenden Vorsorgekonzeptes im Rahmen des Kulturgutschutzes, der wiederum in zahlreichen nationalen und internationalen Rechtsnormen verankert ist.“
Strukturierte Prävention braucht einen langen Atem und stößt immer wieder auf Widerstände. Oft sind es Kleinigkeiten, die wohlüberlegte Konzepte kollabieren lassen. Mein Streifzug durch die Internetseiten zahlreicher Notfallverbünde stieß auf ungültige Links – im Notfall fatal –, Personalwechsel lassen einmal Geregeltes leicht vergessen, sich ändernde Zuständigkeiten stellen einmal Vereinbartes in Frage, geänderte Handynummern hebeln manche Alarmliste aus, nicht gemeldete Umhängungen oder Bauarbeiten machen Feuerwehrlaufkarten im Handstreich zu Makulatur. All dies – und wir könnten die Liste mühelos verlängern – gefährdet eine standortspezifische Notfallplanung und macht damit einen lokalen Notfallverbund rasch zu einem zahnlosen Tiger.
Unverkennbar sind Notfallverbünde mit noch weit schwerer zu beherrschenden Abhängigkeiten konfrontiert: So muss hinter verschlossenen Türen in Zeiten steigender terroristischer Bedrohung über eine andere Stufe von Sicherheit nachgedacht werden. Zu empfehlen ist zudem die Lektüre von Gregory Benfords Timescape über eine langsam zerfallende Gesellschaft. Oder von Black Out von Marc Elsberg: Im Ernstfall unterbindet ein zusammenbrechendes Stromnetz schon nach kurzer Zeit jede Kommunikation, werden Straßen und Bahnstrecken unbenutzbar und die eingeplanten Helfer und ihre Familien können selber betroffen sein. Zu guter Letzt: Notfallplanung und Notfallverbünde dürfen nicht nur die analogen Medien im Blick haben, sondern müssen auch zunehmend Konzepte für digitale Medien liefern. Hier geht es nicht mehr um Schaumstoffecken oder Seitenschneider!

Laudo

Nun, Sie, lieber Herr John, und all ihre Kolleginnen und Kollegen der deutschen Notfallverbünde sind diesen dornigen Weg bereits gegangen. Sie wissen: Notfallplanung erfordert Vieles, erfordert Offenheit, Kommunikationsvermögen, Ortskenntnis, Respekt vor dem anderen. Es lebt von häufigen Schulungen und standardisierten Verfahren. In dieser Gesamtlage die Initiative zur strukturierten Prävention ergriffen zu haben, ist mehr als einer Anerkennung wert, sie ist preiswürdig.
Ich verneige mich vor Ihrer aller Engagement zum Schutz unseres kulturellen Gedächtnisses. Und hoffe, dass der heute verliehene Preis dazu ermutigt, weitere Notfallverbünde zu gründen und zu beleben!

Andreas Burmester, München, 26. Oktober 2017